Zum Download des gesamten Beitrags
Die im November und Dezember 2020 durchgeführte Antisemitismus-Studie 2020 dokumentiert die Anteile der Bevölkerung in Österreich, die antisemitische Aussagen sowie Aussagen, die ein unbefangenes Verhältnis zu Jüdinnen und Juden widerspiegeln, in unterschiedlichen Zusammenhängen teilen.
Dimensionen des Antisemitismus
Für die Antisemitismus-Erhebung 2018 wurden zwei Dimensionen des Antisemitismus unterschieden: der affektive, emotional getriebene sowie der pseudorationale, mit vermeintlichen „Belegen“ argumentierende Antisemitismus. Nichtantisemitische Haltungen wurden in der Dimension „Non-Antisemitismus“ zusammengefasst. Laut Antisemitismus-Studie werden Aussagen, die dem affektiven Antisemitismus zuzuordnen sind, aktuell von 8 Prozent vertreten (2018: 12 Prozent). Deutlich höher ist mit durchschnittlich 23 Prozent der Anteil an Personen, welche die Aussagen des pseudorationalen Antisemitismus als sehr oder eher zutreffend empfinden (2018: 34 Prozent). Der Non-Antisemitismus ist mit 56 Prozent stärker verbreitet als der affektive und der pseudorationale Antisemitismus (2018: 49 Prozent). Die Ergebnisse der Befragungen 2018 und 2020 sind allerdings nur bedingt vergleichbar, weil die Befragungen für die Studie unmittelbar nach dem islamistischen Terror-Anschlag am 2. November 2020 erfolgten (siehe Methode).
Einflussfaktoren für Antisemitismus
Das Alter der Befragten ist bei den Aussagen des pseudorationalen Antisemitismus ein wichtiger Erklärungsfaktor: Je älter die Befragten sind, desto eher halten sie entsprechende Aussagen für zutreffend. Relevant sind auch die Bildungsabschlüsse der Befragten: Bei fast allen antisemitischen Aussagen drücken Menschen mit höheren formalen Abschlüssen (Matura oder Universität/Fachhochschule) deutlich weniger Zustimmung bzw. deutlich höhere Ablehnung aus. Menschen mit höheren formalen Bildungsabschlüssen tendieren allerdings auch eher zu sozial erwünschtem Antwortverhalten. Bedeutsam ist laut Studie auch das Wissen der Befragten über Jüdinnen und Juden bzw. über den Holocaust. Die Kenntnis der Anzahl der jüdischen Opfer des Holocaust geht meist mit einer stärkeren Ablehnung von antisemitischen Aussagen einher.
Antisemitismus und Verschwörungstheorien
Die Antisemitismus-Studie 2020 erhob vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie auch mögliche Zusammenhänge zwischen Antisemitismus und Verschwörungsmythen: Die Ergebnisse zeigen, dass eine hohe Neigung zu Verschwörungsmythen Hand in Hand mit stark ausgeprägten antisemitischen Einstellungen geht. Das zeigt sich am deutlichsten bei den Aussagen des pseudorationalen Antisemitismus. Der Aussage „Eine mächtige und einflussreiche Elite (z. B. Soros, Rothschild, Zuckerberg …) nutzt die Corona-Pandemie, um ihren Reichtum und den politischen Einfluss weiter auszubauen“ stimmen beispielsweise 59 % der Befragten mit hohem Hang zu Verschwörungstheorien zu.
Medien und Antisemitismus
Im Rahmen der Antisemitismus-Studie 2020 wurde auch der Zusammenhang zwischen dem Vertrauen in (soziale) Medien und Antisemitismus untersucht. In Österreich gibt zwar nur eine Minderheit an, sozialen Medien zu vertrauen; allerdings laufen Menschen, die das tun, verstärkt Gefahr, antisemitische Aussagen für zutreffend zu halten. Hingegen bewertet, wer traditionellen Medien vertraut, antisemitische Aussagen häufiger als unzutreffend. Medien haben somit einen Einfluss auf Antisemitismus, der alle Formen und Dimensionen des Antisemitismus betrifft.
Akzeptanz der Erinnerungskultur
Die Erinnerungskultur in Österreich wird nach den Ergebnissen der Studie im richtigen Ausmaß gelebt. Die Mehrheit von 57 % erklärt, dass das Ausmaß an Erinnerungskultur gerade richtig ist; 20 % sprechen sich für weniger, 16 % für mehr Gedenken aus. Die jüngsten Befragten (16 bis 25 Jahre) fordern hingegen deutlich öfter mehr Erinnerungsarbeit (30 %). Damit wird die große Rolle des Bildungswesens und zivilgesellschaftlicher Initiativen für eine zeitgemäße Erinnerungskultur und den Kampf gegen den Antisemitismus deutlich.